Das Jahr 2022 verlief für die Tennisspielerin Jil Teichmann in vielerlei Hinsicht nach Wunsch. Die Bielerin stiess bei den WTA-1000-Turnieren von Madrid und Rom bis in den Halb-, respektive Viertelfinal vor, überstand bei den French Open drei Runden und belegte zeitweise Rang 21 der Weltrangliste. Das ganz grosse Highlight folgte im November mit dem Triumph an den Billie Jean King Cup Finals in Glasgow. Im selben Stile hätte es, wäre es nach Teichmann gegangen, auch im Folgejahr weitergehen dürfen. Doch plötzlich schien sie das Siegen verlernt zu haben. Sage und schreibe 16 (!) Drei-Satz-Niederlagen kassierte die Linkshänderin 2023. Sie verlor nicht nur wertvolle Punkte, sondern irgendwann auch das Vertrauen in ihr Spiel. Und als wäre das nicht schlimm genug, machte Anfang 2024 auch der Rücken nicht mehr mit. Es folgte eine mehrwöchige Zwangspause und der freie Fall in der Weltrangliste mit Platz 230 als Tiefpunkt. «Das war eine sehr emotionale und schwierige Zeit für mich, für die ich heute aber dankbar bin», sagt Teichmann bei «Let’s talk about Tennis», dem Podcast von Swiss Tennis. Dankbar, weil sie viel über sich als Mensch und das Leben generell gelernt habe. «Für einmal konnte ich mich und meine Tenniskarriere mit etwas Abstand betrachten», sagt die heute 27-Jährige mit Bezug auf die Verletzungspause von vor gut einem Jahr. «Wenn du von Turnier zu Turnier eilst, bist du wie gefangen in einem Hamsterrad und jagst ständig neuen Zielen hinterher. Das kann schnell zur Sucht werden und hat mir rückblickend nicht gutgetan.»
Neustart in der Tennisprovinz
Es folgte der Neuanfang. Nicht wie in den Jahren davor auf der ganz grossen Tennisbühne, sondern bei kleinen, ganz und gar nicht glamourösen ITF-Turnieren. Es sei ihr am Anfang schwergefallen, das zu akzeptieren, sagt Teichmann heute. «Ich musste mir die Frage stellen, ob ich diesen Weg wirklich noch einmal gehen will.» Die Antwort lautete ja und so begab sie sich in die Tennisprovinz, beispielsweise nach Santa Margherita di Pula auf Sardinien. «Ich kann mich erinnern, wie ich mich dort zusammen mit drei Männern auf einem Hartplatz – das Turnier wurde auf Sand ausgetragen – für eine Partie einspielen musste. Wie professionelles Tennis fühlte sich das nicht mehr an.» Schritt für Schritt kämpft Jil Teichmann sich seither zurück. Mittlerweile hat sie die kleinsten ITF-Turniere hinter sich gelassen und den Sprung zurück in die Top-100 der Weltrangliste geschafft, nicht zuletzt dank ihres Triumphes beim WTA 125 von Mumbai (IND) im Februar dieses Jahres.
Körperliche und mentale Gesundheit als Priorität
Auf die Frage, was sie denn heute auf dem Platz besser mache als noch vor einem Jahr, antwortet Teichmann: «In erster Linie bin ich körperlich fitter. Zu meinem besten Tennis fehlt aber noch ein Bisschen etwas, auch wenn ich nur schwer beschreiben kann, was es ist.» Neu aufgestellt hat die Schweizerin, die in Barcelona aufgewachsen und heute auch wieder dort zuhause ist, ihr Umfeld. Sie beendete nach anderthalb Jahren die Zusammenarbeit mit ihrem Coach Andrew Bettles und wird seither von der Argentinierin Guadalupe Perez Rojas sowie phasenweise von Swiss Tennis-Nationalcoach Phillip Wallbank trainiert. «Mit beiden bin ich auch privat eng befreundet. Sie kennen mich daher sehr gut und wissen genau, was ich brauche und was nicht», so Teichmann. Ihre Ziele für das laufende Jahr will die Tennisspielerin nicht an Erfolge knüpfen. Vielmehr ginge es darum, körperlich und mental fit zu bleiben, «dann ergeben sich auch die Resultate früher oder später», auch das habe sie in den letzten rund zweieinhalb Jahren gelernt.
Ganzes Gespräch bei «Let’s talk about Tennis»
In der neusten Folge von «Let’s talk about Tennis» spricht Jil Teichmann ausführlich über die für sie schwierige, emotionale, aber auch lehrreiche Zeit. Im gut 40-minütigen Gespräch geht es ausserdem um kulinarische Vorlieben, spontane Städtetrips, offene Wettschulden, den Hund Fredy und vieles mehr. Drei Personen aus dem engsten Umfeld Teichmanns sind ebenfalls mit einer eigenen Frage von der Partie – einschalten lohnt sich!
Ab sofort erscheinen in unregelmässigen Abständen auch französische Folgen von «Let’s talk about Tennis». Moderator Cyril Brunner hat im März Marco Chiudinelli als ersten Gast empfangen. Die Folge mit dem Davis Cup-Sieger von 2014 findest du hier!